Interview mit der IHK Dresden und Cottbus
Foto: Thomas Goethe, www.foto-goethe.de
Der Bewerbungsprozess der Lausitz um das erste Net Zero Valley Europas ist in allererster Linie ein Wirtschaftsthema. Es geht um nichts weniger als die Neuverteilung von Produktionsstandorten grüner Zukunftsindustrien, die heute global zu den am stärksten wachsenden Branchen zählen. Nachdem die USA, China und Japan mit multimilliardenschweren Programmen vorgelegt haben und die weltweiten Investitionen in diese Technologien in den Billionenbereich treiben, könnte die Lausitz als „First Mover“ im korrespondierenden Vorhaben der EU nun zu Europas erster ausgewiesener Wachstumsregion für grüne Technologien avancieren. Der gemeinsame Weg vieler Lausitzer Akteure dorthin wird von den IHKs Dresden und Cottbus sowohl in der Task-Force als auch mit fachlichem Input im gesamten Beteiligungsprozess mitgestaltet – stets mit klarem Blick auf den Benefit für die Bestandswirtschaft der Region. Dazu sprachen wir mit den Hauptgeschäftsführern beider Kammern, Lukas Rohleder und André Fritsche:
Die IHKs Cottbus und Dresden engagieren sich in der Task-Force für ein Net Zero Valley Lausitz – warum ist Ihnen dieses Vorhaben so wichtig?
Fritsche: Die Weltwirtschaft befindet sich bereits mitten in einer Zeitenwende. Wir erleben eine tiefgreifende Veränderung unserer Wertschöpfungsketten. Weltweit setzen viele Staaten auf große und finanzstarke Investitionsförderprogramme, um die Transformation der Wirtschaft zu ermöglichen. Wir sollten die Chance nutzen und uns mit einem Net Zero Valley Lausitz internationale Aufmerksamkeit verschaffen und den Green Deal umsetzen und greifbar machen. Das absehbare Ende der über ein Jahrhundert strukturbestimmenden Braunkohlewirtschaft öffnet den Raum für neue Wertschöpfung, die auf der Herstellung sogenannter Null-Emissions- Technologien basieren kann. Gedacht wird hier an Solartechnik, Windkraft, Batterien, Wasserstoff und viele weitere Technologien. Ihr Bedarf wird in der EU weiter zunehmen und es ist erklärtes Ziel, 40 Prozent des eigenen Bedarfs an industriellen Fertigungskapazitäten in der EU auf dem eigenen Kontinent aufzubauen – gern in der Lausitz. Auch das Ziel, die Planungs- und Genehmigungsverfahren für ein Valley zu beschleunigen und zentral durchzuführen, kann für Unternehmen deutliche Erleichterungen bedeuten. Das kann nur zu begrüßen sein! Weitere Schwerpunkte sind die finanzielle Unterstützung von Unternehmen in der Strukturwandelregion, die Entbürokratisierung und Anwerbung von Fachkräften und Ansiedlungen.
Gibt es in den IHKs bereits Projekte oder Kompetenzen, die mit den Zielen eines Net Zero Valley korrespondieren?
Fritsche: Leider können die Unternehmen die meisten Fördermittel für den Strukturwandel nicht beantragen. Umso erfreuter sind wir, dass wenigstens die EU-Mittel aus dem Just Transition Fund mehr und mehr bei den Unternehmen ankommen. Mit bis zu 70 Prozent Förderhöhe und insgesamt fast 300 Millionen Euro im Fördertopf fließen diese Mittel schnell, unkompliziert und zielgerichtet zu den kleinen und mittelständischen Unternehmen.
Brüssel unterstützt die Lausitz auf ihrem Weg ausdrücklich, wie erklären Sie sich diesen Lausitz-Fokus auf EU-Ebene?
Rohleder: Ich denke, dass liegt hauptsächlich daran, dass die Lausitz proaktiv eine Vorreiterrolle eingenommen hat. Auch Dank des Europaabgeordneten Dr. Christian Ehler, der aus der Region stammt, und im EU-Parlament zuständiger Berichterstatter für den Net Zero Industry Act ist, wurden von hier aus erste Vorstellungen geäußert. Die Kommunen der Lausitzrunde haben sich auf den Weg nach Brüssel gemacht, die Wirtschaft ist im Schulterschluss und in großer Einigkeit gleichzeitig in die Gespräche eingestiegen – alles zusammen Signale, die ihre Wirkung augenscheinlich nicht verfehlt haben.
Warum sollte das Valley unbedingt ein gemeinsames, länderübergreifendes Projekt sein?
Rohleder: Das lässt sich recht einfach beantworten. Die Lausitz ist von jeher ein länderübergreifender Wirtschaftsraum, dessen Entwicklung und Strukturen nicht an Ländergrenzen halt machen. Die IHKs Cottbus und Dresden analysieren genau deswegen die Lausitz auch schon immer gemeinsam als Wirtschaftsstandort. Der Strukturwandelprozess hat uns auch als Kammern noch enger zusammenrücken lassen. Das liegt auch einfach daran, dass wir die erforderliche Wahrnehmung für die besonderen Herausforderungen der Region länderübergreifend besser bewerkstelligen können.
Für wie wichtig halten Sie eine Öffnung des Vorhabens hin zu Polen und Tschechien?
Fritsche: Mein beruflicher Werdegang hat mir aufgezeigt, wie viele Vorteile sich aus internationalen Wirtschaftskooperationen für Unternehmen ergeben können. Gerade in der Lausitz werden grenzüberschreitende Kooperationen mit Polen und Tschechien noch viel zu selten genutzt – auch beim Thema Transformation der Wirtschaft spiegelt sich das wider. Dabei haben wir die gleichen Herausforderungen zu meistern. Gemeinsam käme man sicher schneller voran und würde den Technologiefortschritt befeuern. Gemeinsam sind wir eine starke Region in Europa. Jetzt ist es aber wichtig, das begonnene Verfahren mit den über 100 mitwirkenden Akteuren in der brandenburgischen und sächsischen Lausitz zum Erfolg zu führen. Laufen die Fortschritte weiter so positiv, sollte über die Grenzen hinausgedacht und gearbeitet werden. Denn es ist ein europäisches und kein nationales Projekt.
Aktuell läuft ein Beteiligungsprozess, in dem auch eine Auswahl der Technologiefelder für die Lausitz erfolgen soll – welche Prioritäten haben Sie hier?
Fritsche: Eine politisch gesteuerte Auswahl der „Valley-Technologien“ ist möglicherweise nicht zielführend und sollte auf keinen Fall dazu führen, dass bestimmte Branchen von einer Ansiedlung ausgeschlossen werden. Vielmehr ist es erforderlich, sich damit zu beschäftigen, welche Cluster und Schwerpunkte sich bereits etabliert haben oder sich in der Etablierung befinden, um dort gezielt anzuknüpfen. Dies betrifft zum Beispiel das Thema Batterie- oder auch Wasserstofftechnologien. Dabei sollte bedacht werden, dass die Geschäftsfelder der regionalen Wirtschaft vielfältig sind und die Unternehmen in der Breite von einem Valley Lausitz profitieren können. Dabei werden wir besonders darauf achten, dass alle Unternehmen in der gesamten Breite der Lieferkette und die vorhandenen Cluster vom Net Zero Valley profitieren können und sich besondere Vorteile für KMU ergeben, deren Anteil an der regionalen Wirtschaft weit über 95 Prozent beträgt.
Wie stark ist die regionale Wirtschaft in den laufenden Beteiligungsprozess eingebunden?
Rohleder: Die regionale Wirtschaft war über die großen Player vor Ort und die unterschiedlichen Interessenvertreter, wie Kammern und Verbände, quasi vom ersten Tag an dabei. Jetzt beginnt der Prozess der Detaillierung und Konkretisierung. Das heißt, wir identifizieren auch kleine und mittlere Einzelunternehmen, die in den Prozess eingebunden werden sollten. Mangels konkreter Vorgaben war dies bislang noch nicht im größeren Umfang möglich.
Wie sehen Sie das Engagement der Kammern mittel- und langfristig, sollte das Vorhaben Realität werden?
Rohleder: Wir wollen den Prozess unbedingt aktiv begleiten, allein um sicherzustellen, dass die mittelständische Wirtschaft, die das Gros unserer Mitgliedsunternehmen ausmacht, adäquat partizipiert. Darüber hinaus sehen wir uns in der Verantwortung, für praxisnahe Genehmigungsverfahren und eine sinnvolle Clusterbildung einzutreten, um auch tatsächlich Wirtschaftswachstum in den betreffenden Branchen zu ermöglichen.
Welche Unterstützung wünschen Sie sich insbesondere von Ländern und vom Bund?
Fritsche: Wichtig ist die anhaltende Unterstützung der beiden Landesregierungen. Ihnen kommt künftig für ein zentrales Planungs- und Genehmigungsverfahren auch eine wichtige Rolle zu. Aktuell arbeitet der Bund an der sogenannten „nationalen Durchführung“ der europäischen Vorgaben des Net Zero Industry Acts, der beispielsweise bei der Ausweisung der Valleys den Mitgliedsstaaten gewisse Spielräume lässt. Wir sind gespannt auf den hoffentlich bald vorliegenden Gesetzentwurf, um uns als IHK-Organisation in die Konsultation im Sinne der Wirtschaft einzubringen. Im Gespräch mit Vertretern aus dem Bundeswirtschaftsministerium wurde jedoch bereits deutlich, dass wir die Unterstützung der Bundesregierung haben und alles in die Wege geleitet wird, um schnellstmöglich den „Katalog der Auswahlkriterien“ anzugehen. Dabei könnte das bereits in Cottbus ansässige „Kompetenzzentrum Klimaschutz in energieintensiven Industrie (KEI)“ einen entscheidenden Beitrag leisten. Dank unserer sehr guten Zusammenarbeit mit dem KEI weiß ich, dass wir hier auf einem sehr guten Weg sind.
Klimaschutz und Energiewende treffen in der Lausitz oft auf Skepsis, welche Anforderungen und Chancen sehen Sie bei der Kommunikation des Vorhabens in die regionale Wirtschaft?
Rohleder: Da muss man klar unterscheiden Klimaschutz und Energiewende werden in der Lausitz überhaupt nicht per se in Frage gestellt, vielmehr werden die bisherige Umsetzung mit diversen Unklarheiten, zum Beispiel bei der Frage nach den konkreten Energieträgern der Zukunft, und die teils erratischen Richtungswechsel kritisiert. In der Kommunikation wird es deshalb darauf ankommen, klar und verständlich zu vermitteln, wie die regionale Wirtschaft durch die begonnene Transformation profitieren kann, und welche Zukunftsfelder wie genau angesteuert werden sollen.
Last not least: Wie hoch schätzen Sie aktuell die Chance ein, dass die Lausitz tatsächlich zum Net Zero Valley wird – und wie hoch, dass sie das erste in Europa sein wird?
Rohleder: Wenn es rechnerisch möglich wäre, würde ich sagen, die Chancen stehen bei 105 Prozent. Meines Wissens gibt es zwar noch zwei Interessenten, aber bisher keine weiteren, echten Bewerbungen. Unser Projekt ist weit vorangeschritten, wird professionell geführt, es gibt eine breite Beteiligung – von den Kommunen über die beiden Bundesländer bis zum Bund. Alle Genannten wollen den Erfolg für die Lausitz. Deshalb wird es auch klappen.
Fritsche: In den nächsten drei bis fünf Jahren werden weltweit die Weichenstellungen für die Investitionen in den kommenden Jahrzehnten erfolgen. Die Lausitz kann dabei sein. Deswegen muss alle Kraft in dieses gemeinsame Zukunftsprojekt für Brandenburg und Sachsen fließen.
Weitere Informationen: www.ihk.de/dresden | www.cottbus.ihk.de | www.netzerovalley.eu